Zwischen Gift, Wurm und zwei Stühlen

2.1. Balance ohne Lehne

Ina Geißler - Kartierung der Innenwelt - Fuchs

Ich stehe in einem schattigen Raum, umgeben von niedrigen Fenstern, die ins Grüne blicken. Die verwitwete, zurückgezogene Mutter eines befreundeten Künstlers hat für ihren Sohn zwei Stühle ausgewählt: einen archaischen Stuhl aus dunklem Holz, verziert mit Intarsien und einer Lehne, die Stabilität verspricht, und einen weißen, filigranen Drahtstuhl, dessen schwebende Polsterung an eine Hollywoodschaukel erinnert. Beide Stühle bieten Halt; einen soll er sich aussuchen. Statt sich für einen zu entscheiden möchte er beide. Schließlich wählt er jedoch bewusst die Entsprechungen ohne Lehne – eine Entscheidung für Unabhängigkeit und Offenheit, ohne Anlehnung und ohne Festlegung.

Später sitzen wir auf der Rückbank eines Autos, seine Mutter am Steuer. Er spricht von der Freundin, die er gerne seinem längst verstorbenen Vater vorgestellt hätte. Seine Mutter schweigt, und er beginnt,sich zu fragen, warum es ihm eigentlich so wichtig gewesen war, seine Beziehungen nach den vermeintlichen Erwartungen seines Vaters auszurichten. Während er nun stiller wird und sich einfach nur in die Polster der Rückbank zurücklehnt, scheint sich ihm eine Klarheit darüber zu öffnen, was er wirklich will – eine Freiheit, die durch innere Ruhe und Selbstannahme entsteht.