Von Löwengier zu Wolfszähmung

3.3. Flucht vor Löwenkindern

Ina Geißler - Kartierung der Innenwelt - Igel

Ich renne einen endlosen Bahnsteig entlang, vorbei an Menschen und Koffern, halb auf der Flucht, halb in der Hoffnung, dass jemand bemerkt, wie weit ich komme. Immer wieder blicke ich zurück, zwischen Angst und dem Bedürfnis, gesehen zu werden. Irgendwann verliere ich den Atem, steige eine Treppe hinauf und finde mich in der Nacht auf einer Straße wieder, wo ich mich einer Gruppe Fremder anschließe. Wir steigen in ein Taxi, das uns durch die Straßen meiner Kindheit fährt. Als ich in Gehentfernung zu meinem damaligen Zuhause aussteige, fallen mir die müden Blumensträuße in grauem Papier auf – farblos und erschöpft, wie verblasste Erinnerungen.

Kurz darauf finde ich mich in einem sterilen Raum wieder, bedrängt von hungrigen Löwen. Eine andere Person bleibt verschont, doch ich werde allein als Beute betrachtet. Es scheint, als wäre ich immer diejenige, die ausgeliefert ist. Ich tanze ein wenig, um die Löwen abzulenken, bis Pfleger mit Futter eintreffen und für einen Moment Entspannung einkehrt. Später bin ich erneut Wildkatzen ausgeliefert als Babysitterin in einer chaotischen Wohnung, bedrängt von zahnlosen Löwenkindern, deren Mutter abwesend bleibt. Die Stimmung in der düsteren Wohnung, deren Räume ohne begrenzende Wände ineinander übergehen, lastet schwer auf mir trotz ihrer vermeintlichen Freizügigkeit, und ich trage die Verantwortung für diese gierigen Kinder allein.

Im Rückblick spüre ich Erleichterung. Diese Menschen und ihre Forderungen verblassen.