Vom Schweigen zum Atelierbesitz
5.4. Last unter Schillerschleiern

Vor mir liegt ein fettiges Essen, verhüllt unter einem Schleier aus schimmerndem Stoff, der etwas Appetitliches zu verbergen scheint und gleichzeitig preisgibt, dass der Schein trügt. Die Kombination aus Sauerkraut und diesem billigen Mett vermittelt eine Schwere, die für alles steht, was ich verbergen möchte. Die herzhafte Mahlzeit zieht mich an und stößt mich zugleich ab, wie all das Unausgesprochene, das sich wie schwerer Staub auf das Fundament vieler Jahre gelegt hat.
Am Abend besuchen wir eine Party, doch wir gehen getrennte Wege. Ich spüre die Freiheit, mich zu entfernen. Während er weiter zu einer Kirchenbesichtigung geht, ziehe ich mich mit einem unbekannten Mann in eine stille Ecke zurück. Meine Begegnung fühlt sich fremd, aufregend und doch vertraut an, als könnte er ein versteckter Teil von mir selbst sein. Am Morgen merke ich, dass ich keine Wechselkleidung dabei habe, und trage wie immer meinen alten, hellblauen Pullover, den ich vor Jahren selbst gestrickt habe. In diesem vertrauten Outfit fühle ich mich unglaublich geborgen. Wir verlassen den Ort des nächtlichen Abenteuers und treten hinaus in die taghelle Kleinstadt. Schnell schlüpfe ich in meine Turnschuhe, bevor wir aufs Fahrrad steigen, um die anderen Partygäste vom Vorabend zu treffen und gemeinsam weitere Besichtigungen des mittelalterlichen Ortes zu unternehmen.
Für einen Moment spüre ich noch die Leichtigkeit in mir. Doch während ich meine Turnschuhe schnüre, wird mir langsam die Last meines Geheimnisses bewusst. Eine innere Verpflichtung, meine Erlebnisse der letzten Nacht zu teilen, drängt sich mir auf, und ich frage mich, ob auch er auf seine Weise eigene Geschichten mit sich trägt. Vielleicht hat das, was uns trennt, in unserer Abwesenheit auch einen eigenen Weg zu ihm gefunden.