Vom Schwebezustand ins Buchgerüst
6.3. Schweben durch kalte Gänge

Im Dunkel des Zimmers liege ich, halb wach, in einer Welt aus Bildern und Momenten, die ineinanderfließen. Ich suche nach Methoden zur Bewertung, Trennung, Ordnung, versuche, Kategorien für das Erlebte zu finden, als könnte ich durch diese Sortierung festen Boden im dichten Nebel gewinnen.
Doch schon schwebe ich, ohne Bodenkontakt, durch die kalten Gänge eines weitläufigen Internats. Die Mauern strahlen eine Kälte aus, die mir bekannt vorkommt – wie Erinnerungen an alte Schulausflüge, an steile Straßen und Laubwälder, die sich über mir wölben. Mein Kind erscheint unerwartet ¬– barfuß und verletzt, läuft unvermittelt eine von Bäumen gesäumte Allee entlang, einer Gruppe hinterher. Vorne geht ein Künstler, der seine Umwelt in eigenwilligen Farben bemalt, als wäre die Welt seine Leinwand. Das Kind hat sich entschieden, ihm zu folgen – ohne Schuhe, ohne Schutz. Ich denke kurz daran, es zurückzuholen, lasse den Gedanken jedoch wieder los. Vielleicht ist es Zeit, dass es seinen eigenen Weg geht, auch wenn er holprig ist. Mein Mann bleibt neben mir in der Küche sitzen. Er wartet, ruhig und lackiert in Gedanken seinen Oldtimer weiter, der schon seit einiger Zeit auf einem Langzeitparkplatz steht.
Die Werkstatt schließlich, wo ich meine eigenen Entwürfe in fremden Mappenschränken fast nicht wiederfinde, ist der letzte Halt. Ich finde sie gerade noch: die spiegelnden Zaungebilde, verdreht und gedrückt, aber sie bergen immer noch den Raum, den ich in ihnen erschaffen habe – eine Art inneres Territorium, das ich schütze und bewahre.