Von Löwengier zu Wolfszähmung

3.2. Wolfszähmung und Flussbad

Ina Geißler - Kartierung der Innenwelt - Otter

Ich stehe in der Wohnung meines Vaters, doch die vertrauten Räume wirken fremd und bedrohlich. Ein Wolf ist hier, er hat sich in der Küche versteckt. Vorsichtig verschließe ich die Tür, damit er nicht ins Wohnzimmer gelangen kann. Doch das Tier hat seine Gefangenschaft bemerkt und drückt mit aller Kraft von innen, während ich die Tür zuhalte. Er lässt sich nicht einfach einsperren – dieser Teil von ihm, der wild und unbezwungen bleibt.

Neben mir steht eine andere Gestalt, mit der ich nebenbei über Rezepte sprechen muss. Die Kombination aus dem Drücken und dem Austausch von Rezeptideen wird anstrengend, denn der Wolf pocht unaufhörlich an die Tür und lässt sich nicht ignorieren.

Später finde ich mich in einem Gewässer, das seltsam ruhig wie ein See erscheint und an einer anderen Stelle reißend wie ein Fluss. Ich schwimme zunächst im fließenden, klaren Teil desWassers, dann gelange ich in einen Bereich, der träge und schlammbedeckt ist. Mein Bauch streift den Grund, und Schlick kühlt meine Haut, während zwei hohe Palmen am Ufer schwanken – eine davon geknickt und von einem Seil gestützt. Das Licht glitzert auf dem grünen Wasser. Die Stimmung ist exotisch und zugleich wie auf einer Baustelle. Ich schwimme immer wieder hin und her.

Später betrete ich ein Schwimmbad, das durch eine gläserne Halle von der Außenwelt getrennt ist. Drei Wasserbecken liegen dort, jedes für sich. Doch eines, ein geschlossener Bereich, ist von bedrohlicher Hitze erfüllt – 80 Grad, eine Temperatur, die sich nicht mit den anderen Zonen mischen darf, da sie fremde Sphären auf unerklärliche Weise „schrumpfen“ würde. Eine vage Erinnerung an den Illustratoren, einen Mann, der Wölfe und Märchen zu Papier bringt, schwebt in diesem Raum. Umgeben von der Wasserwelt verstehe ich seine Weise, mit der er durch Linien und Tusche das Wilde einhegt, ohne es zu bändigen.