Vorwort


»Wer weiß, wer ich bin? Ich wandle und wandle mich.«
Rainer Maria Rilke (1875–1926)


Vorwort

Für dieses Projekt habe ich aus Tausenden meiner dokumentierten Träume jene ausgewählt, die auch Monate später noch eine starke emotionale Resonanz in mir erzeugen. Diese Träume verarbeite ich seit 2016 in einem kontinuierlichen, diaristischen Projekt, bei dem jedes Traumerlebnis ergänzt um ein Tierporträt auf DIN-A4-Seiten festgehalten wird.
Wenn ich aufwache, erinnere ich mich oft nur bruchstückhaft an meine Träume. Doch beim Aufschreiben kommen die Erinnerungen zurück, Anstatt Traumsymbole zu deuten oder zu illustrieren, transformiere ich meine Traumerlebnisse in kurze Geschichten. Die nachts notierten Gedanken baue ich morgens zu ausführlichen Texten aus. Oft entstehen so längere Geschichten aus drei bis vier Träumen, die ein gemeinsames Thema haben.

Für die ergänzenden Porträts wähle ich Tiere, welche die Eigenschaften meines Traum-Selbsts symbolisieren, ohne eine direkte Illustration zu sein. Diese Tiere müssen nicht jenen im Traum entsprechen und scheinen oft durch den Text hindurchzublicken. Ich bevorzuge Tierporträts gegenüber menschlichen Gesichtern, weil sie eine unverhohlene Direktheit bieten und keine bestimmte Person darstellen. Das Tier ist quasi die symbolische Brücke zwischen der Emotion und dem Inhalt der Geschichte. Diese Verbindung zwischen den Eigenschaften des Tiers und der Geschichte hilft mir, das jeweilige Thema in mein Referenzsystem einzuordnen, welches aus 28 Begriffen besteht. Sobald ich für jeden Begriff einen passenden Traum habe, ist das jeweilige System »komplett«. Jede Serie fasst jeweils eine vollständige Version eines solchen Systems zusammen.

Ich habe mich bei der Strukturierung dieses Referenzsystems von einem Konzept aus der indischen Philosophie inspirieren lassen, das den menschlichen Körper mit bestimmten physischen, emotionalen, psychischen und spirituellen Aspekten in Verbindung bringt und diese in Begriffsfelder unterteilt. In diesem Rahmen habe ich sieben eigene Hauptthemen identifiziert: Sicherheit, emotionale Transformation, persönliche Souveränität, zwischenmenschliche Dynamik, kommunikative Authentizität, erweiterte Einsicht und (Zu-)Frieden(heit). Diese Themen unterteile ich in vier Kategorien: harmonisch, stabilisierend, unteraktiv oder überaktiv. Diese Kategorien helfen mir, die Balance oder das Ungleichgewicht in den Träumen zu erkennen und zu reflektieren. Während sich im harmonischen Zustand oft Wunschträume zeigen, sind im unteraktiven oder überaktiven Zustand eher Albträume anzutreffen.

Natürlich gibt es in jedem Traum auch andere Elemente, denen man sie zuordnen könnte. Die Einteilung zu den verschiedenen Kategorien ist meine künstlerische Setzung.

In der Konzeption meiner Traumtexte habe ich mich dafür entschieden, den meisten auftretenden Figuren Pseudonyme zu geben.

Ich begreife diese Traumerzählungen als künstlerische Reflexionen und nicht als persönliche Tagebucheinträge.

Ina Geissler

Ina Geißler, geboren 1970, lebt und träumt in Berlin und befasst sich mit Malerei, Cut-Out und Kunst im öffentlichen Raum.

weitere Infos unter www.inageissler.de